Festivals         MANAKI BROTHERS


    Viel Neues in Bitola
    36. Internationales Manaki Brüder-Kamera-Filmfestival

    Dimitar Nikolov hat bei seinem Einstand als Direktor des weltweit ältesten Kamera-Filmfestivals neue Akzente gesetzt: eine längere Laufzeit, eine zusätzliche Spielstätte sowie ein reicheres, in neu geschaffenen Sektionen stärker aufgefächertes Programm.

    Sechs Jahre lang leitete die Schauspielerin Labina Mitevska das Manaki-Brüder-Festival und verlieh ihm bisweilen eine betont feminine Note. Mit Catherine Deneuve, Isabel Huppert und Juliette Binoche gaben sich zwischen 2012-2014 drei Diven des Weltkinos in Bitola die Klinke in die Hand. Aber auch Kamerafrauen, man denke etwa an Agnes Godard, AFC, die 2013 mit einem Spezialpreis ausgezeichnet wurde, oder an die mit Hauptpreisen bedachten Natascha Braier, ADF, Jolanta Dylewska, PSC, oder Virginie Saint-Martin, SBC, waren während der Amtszeit Mitevskas immer wieder gern gesehene Gäste in Bitola. Seit dem Winter hat nun der Arthaus-Filmverleiher Dimitar Nikolov das Ruder übernommen, und schon beim ersten Festival unter seiner Regie drängte sich einem unweigerlich der Eindruck auf, es ginge ihm vor allem um die Wiederherstellung der traditionellen Geschlechterordnung: Zu den Ehrengästen der diesjährigen Edition gehörten mit den Schauspielern Bruno Ganz und Aleksey Serebreyakov, dem Hauptdarsteller des letztjährigen Wettbewerbsbeitrags Leviathan (RU, siehe dazu Ausgabe 7/2014, S. 64 ff.), und den DPs Ryszard Lenczewski, PSC, Božidar-Bota Nikolić, SAS, und Jaromír Šofr, ACK, samt und sonders Männer. Eine reine Männerdomäne war auch der Wettbewerb: unter den 13 DPs, die ins Rennen um die Hauptpreise des Festivals gingen, befand sich keine einzige Frau. So sehr man (und frau) die offenkundige Männerdominanz bei der jüngsten Ausgabe des Festivals bedauern mag, wäre es doch unfair und ganz sicher noch zu früh, darin so etwas wie eine patriarchale Handschrift der neuen Festivalleitung erkennen zu wollen. Was darin eher zum Ausdruck kommt, ist, dass das internationale Filmgeschäft und insbesondere die Kinematographie und Filmtechnik nach wie vor weitgehend von Männern beherrscht werden und dass die sechsjährige Amtszeit Mitevskas im Rückblick wohl als die berühmte Ausnahme von der Regel angesehen werden muss.

    Zumal dem neuen Direktor und seinem bis auf wenige Ausnahmen neu zusammengesetzten Team zugutegehalten werden muss, dass die diesjährigen Ehrengäste natürlich nicht ihres männlichen Geschlechts wegen, sondern aufgrund ihrer konstant herausragenden künstlerischen Leistungen an und vor der Kamera mit Spezialpreisen ausgezeichnet wurden.

    Zwischen Kontinuität und Erneuerung

    Insgesamt geht es Nikolov freilich schon darum, dem Festival seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Maßnahmen wie der Verlängerung des Festivaldauer von 7 auf 10 Tagen und der Integration neuer Kategorien, Sektionen und Nebenreihen in das Festivalprogramm liegt, wie der Festivaldirektor gegenüber dieser Zeitschrift erklärte, das Ziel zugrunde, das Kamerafilmfestival von Bitola zunehmend auch für nationale und regionale Filmschaffende zu öffnen und es mittelfristig als wichtiges Kommunikations- und Kooperationsforum der südosteuropäischen Filmbranche zu etablieren. Bei allem Erneuerungswillen sieht sich Nikolov aber auch als Garant für Kontinuität und bekennt sich freimütig zur Tradition des Festivals als ältestes Kamera-Filmfestival der Welt: „Das Manaki-Brüder-Festival ist das älteste Festival der Welt, das der Arbeit der Kameraleute gewidmet ist. Seit nunmehr 36 Jahren stellt es die Kamerakunst in all ihren unterschiedlichen Aspekten in den Fokus. Mit Sicherheit wird dies auch in der Zukunft unser Imperativ sein." Am seit jeher unumstrittenen Herzstück des Festivals, dem Offiziellen Wettbewerb, gleichsam Schaufenster der aktuellen Strömungen in der internationalen Kinematographie, soll also weiterhin festgehalten werden.

    Ausdruck dafür ist auch, dass Blagoja Kunovski-Dore als einer von nur zwei engen Mitarbeitern der ehemaligen Direktorin (die andere ist die Chefin des Dokumentarfilmprogramms Gena Teodosievska) auch unter Nikolov der Künstlerische Leiter des Festivals ist und damit die Verantwortung für die Auswahl der Wettbewerbsfilme trägt.

    Hochkarätig besetzter Wettbewerb – würdige Preisträger

    Diese hatte es auch in diesem Jahr wieder in sich. Die fünfköpfige Jury unter dem Vorsitz von Ryszard Lenczewski lobte jedenfalls einhellig die hohe Qualität des Wettbewerbs und traf durchweg vertretbare Entscheidungen.

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    Die „Bronzene Kamera 300" ging an den jungen DP Mateo Guzmán, ADFC, für seine poetische Bildsprache im kolumbianischen Drama La Terra y la sombra (Land and Shade), das bereits in Cannes mit der Camera d'Or für das beste Erstlingswerk ausgezeichnet wurde. Silber gewann Adam Arkapaw, ACS, für sein „meisterhaftes Kamerahandwerk" in Macbeth, einer von Justin Kurzel bildmächtig inszenierten Neuverfilmung des bekannten Shakespeare-Dramas. Dem ausgemachten Favoriten der diesjährigen Selektion wurde indes der Hauptpreis des 36. Manaki-Brüder-Festivals zuteil. Sau Fia (Son of Saul) das Spielfilmdebüt des ungarischen Regisseurs László Nemes, ging in Bitola schließlich als die große Entdeckung des Filmfestivals von Cannes ins Rennen, wo er mit zwei Wettbewerbspreisen, u. a. mit dem Grand Prix bedacht wurde. Der Film versetzt uns in die Hölle von Ausschwitz, die uns konsequent aus der subjektiven Sicht von Saul, eines Lagerhäftlings, der als Mitglied der so genannten Sonderkommandos tagein-tagaus Menschen in die Gaskammern führen und Leichen verbrennen muss. Bis er auf den Körper eines Jungen stößt, den er für seinen Sohn hält ... Die Kamera von Mátyás Erdély, HSC, scheint mit der Hauptfigur geradezu verwachsen zu sein und liefert uns Bilder, wie man sie zum Holocaust in dieser Intensität und Dynamik im Kino noch nie gesehen hat. Zurecht befand die Jury in ihrer Begründung, dass „dieser Film einen neuen Weg der Erzählung einschlägt: Auf der einen Seite sind wir konsequent in der inneren Welt des Protagonisten eingeschlossen, während wir auf der anderen Seite das unbeschreibliche Grauen des Holocaust beobachten."

    Gute Aussichten auf einen Preis wurden im Vorfeld auch Roger Deakins, BSC, für seine Kameraleistung in Sicario (Hitman), dem neuen Film des franco-kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve (Bild: Roger Deakins, BSC), der ebenfalls im Wettbewerb von Cannes debütierte, oder dem mit einem Silbernen Bären ausgezeichneten norwegischen DP Strula Brandth Grovlen, FNF, für sein One-Shot-Husarenstück in Sebastian Schippers Berlinale-Beitrag Victoria. Beide gingen jedoch leer aus.

    Auch wenn die Wettbewerbsfilme einmal mehr den stärksten Eindruck hinterließen, wussten im Unterschied zum letzten Jahr heuer auch die einheimischen Produktionen zu gefallen. Mit der Weltpremiere von Lazar, dem neuen Film des mazedonischen Regisseurs Svetozar Ristovski, feierte das 36. Manaki-Brüder-Kamerafilmfestival eine überaus gelungene Eröffnung. Die Geschichte des Flüchtlingsschleppers Lazar ist angesichts der gegenwärtigen Flüchtlingskrise nicht nur brandaktuell, sondern überzeugt auch durch die bemerkenswerte Photographie von Dejan Dimeski, MSC. Erstaunliche Kameraleistungen boten schließlich auch Goran Naumovski und Dimo Popov in den mazedonischen Kurzfilmen Down from Heaven und Pepi & Muto, die nicht von ungefähr ex aequo mit der „Small Golden Camera 300" ausgezeichnet wurden.

    Theo Votsos

    Theo Votsos, born as child of Greek parents 1966 in Stuttgart (Germany). He studied Political Science, Philosophy and Sociology. From 1999-2003 he worked for the International Mediterranean Film Festival Cologne and 2007 as director of the Intercultural Theater "Buehne der Kulturen" (Stage of Cultures). He is working as literature translator (Greek-German-Greek) and film critic for German and Greek media.


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